„Meilenstein für digitalen Handel – und Kuraray ist ganz vorne mit dabei“
Juliane Löbig, Director Finance & Accounting bei Kuraray Europe, und Linda Schippler, Manager Accounts Receivables, zur weltweit ersten Live-Transaktion über das Trade-Finance-Netzwerk Marco Polo.
Am 10. Mai war es so weit: Der türkische Glaskonzern Şişecam gibt ein „unwiderrufliches Zahlungsversprechen“ an Kuraray Europe als Gegenleistung für die Lieferung von Spezialverbund-Glaszwischenlagen von Deutschland in die Türkei. Das war die weltweit erste Live-Transaktion dieser Art über das neue Trade-Finance-Netzwerk Marco Polo und ein Meilenstein für die Digitalisierung des Außenhandels. Juliane Löbig, Director Finance & Accounting bei Kuraray Europe, und Linda Schippler, Manager Accounts Receivables, erzählen im Interview, wie das Marco Polo-Payment-Commitment die Abwicklung von Handelsgeschäften über Landesgrenzen hinaus revolutioniert und welche Vorteile die Digitalisierung des Finanzbereichs für Kuraray-Kunden weltweit bietet.
Frau Löbig, um was geht es bei Marco Polo?
Juliane Löbig: Marco Polo ist eines der größten und am schnellsten wachsenden Handelsfinanzierungs-Netzwerke der Welt. Es basiert auf einer dezentralisierten Blockchain-Lösung, die den nahtlosen und sicheren Austausch von Daten und Vermögenswerten zwischen Unternehmen und Banken weltweit ermöglicht. Damit schafft Marco Polo eine wichtige Voraussetzung, um internationale Handelsgeschäfte in Zukunft schneller und einfacher abzuwickeln – und das genauso verlässlich und sicher wie bei der klassischen Handelsabwicklung.
Kuraray war bei der weltweit ersten Live-Transaktion über Marco Polo dabei. Wie kam es dazu?
Löbig: Ja, das ist auch für uns etwas Besonderes. Wir haben bereits vor rund einem Jahr eine Pilot-Transaktion ebenfalls mit der Commerzbank, unserem Kunden Şişecam und dessen Bank, der türkischen İşbank, abgewickelt. Mit gutem Erfolg. Die erste Live-Geschäfts-Transaktion im Mai 2021 war jetzt natürlich nochmal etwas anderes (lacht). Marco Polo ist ein wichtiger Schritt, um internationale Handelsgeschäfte zu vereinfachen und mit dem Dokumentengeschäft einen der letzten papierbasierten Prozesse zu digitalisieren. Ein echter Meilenstein – und Kuraray Europe ist ganz vorne mit dabei.
Was ist für Kuraray bei der Abwicklung internationaler Handelsgeschäfte wichtig?
Löbig: Als international tätiges Spezial-Chemieunternehmen wickeln wir bei Kuraray jeden Tag eine Vielzahl von Außenhandelsgeschäften ab. Mit vielen unserer Kunden haben wir eine langjährige, enge und vertrauensvolle Geschäftsbeziehung. Umso wichtiger ist es, dass wir unseren Partnern größtmögliche Sicherheit bieten – und natürlich wünschen wir uns selbst auch einen verlässlichen Rahmen. Besonders bei internationalen Geschäften, bei denen wir uns in mindestens zwei verschiedenen Rechtsräumen befinden, ist das oft komplex. Um das Risiko für beide Geschäftspartner so gering wie möglich zu halten, haben sich im internationalen Handel Dokumentengeschäfte etabliert. Eines der bekanntesten ist das Export-Akkreditiv.
Und wie funktioniert so ein Geschäft?
Linda Schippler: Vereinfacht läuft so ein Export-Akkreditiv folgendermaßen ab: Wir schließen mit einem unserer Kunden beispielsweise den Vertrag über die Lieferung von Spezialpolymeren zu einem bestimmten Datum. Im Anschluss eröffnet unser Kunde ein Akkreditiv bei seiner Bank. Das heißt, die Bank unseres Kunden sichert uns mit einem abstrakten Schuldversprechen zu, nach Vorlage bestimmter Dokumente, wie etwa dem Frachtbrief, den Rechnungsbetrag an unsere Bank zu überweisen. Unsere Bank wiederum dient als Mittler. Legen wir die vereinbarten Dokumente bei unserer Bank vor, prüft unsere Bank die Richtigkeit und zahlt uns den vereinbarten Betrag aus.
Ein komplexer Prozess. Wie geht es auf der Kundenseite weiter?
Schippler: Unsere Bank leitet anschließend die Dokumente an die Bank des Kunden weiter und verrechnet mit dieser den zu zahlenden Betrag. Unser Kunde erhält die Dokumente von seiner Bank und kann die Waren beispielsweise bei Ankunft im Hafen in Empfang nehmen. Mit diesem Verfahren sind also die Forderungen beider Parteien zu jedem Zeitpunkt abgesichert. Bisher mussten dafür alle Dokumente persönlich und in Schriftform von den Vertragspartnern bei ihrer jeweiligen Bank vorgelegt werden. Ein aufwendiger Prozess.
Inwiefern vereinfacht Marco Polo die Abwicklung?
Schippler: Mit Marco Polo können wir einen großen Teil des Prozesses bei der Abwicklung internationaler Handelsgeschäfte digitalisieren und automatisieren. Eine wichtige Rolle dabei spielt die Distributed-Ledger-Technologie. Sie ermöglicht uns den automatischen Abgleich von Handelsdaten. Auf dieser Basis können dann beispielsweise Importeure unwiderrufliche Zahlungsverpflichtungen gegenüber Exporteuren eingehen – über Landesgrenzen hinweg und komplett papierlos. Darum ging es ja auch bei unserer ersten Transaktion mit Şişecam. Das neue System bietet dabei Sicherheit und eine höhere Transparenz.
Warum wird mit Marco Polo die Abwicklung transparenter?
Schippler: Die Transaktionen finden in einer geschützten Umgebung statt. Alle Beteiligten konnten die Handelsdaten gleichzeitig über speziell eingerichtete digitale Knoten, den „Nodes“, kommunizieren und einsehen. Verschlüsselt wird das Ganze mit Blockchain-Technologie. So ist sichergestellt, dass die Transaktionsdaten nur an die beteiligten Parteien entlang der Handelskette weitergegeben werden. Dies macht den Informationsfluss wesentlich schneller und effizienter.
Wie war es für Sie, bei der ersten Transaktion dabei zu sein?
Löbig: Bei Kuraray ist es uns wichtig, unseren Kunden innovative Lösungen zu bieten. Das gilt für unsere Produkte, aber natürlich auch bei der Geschäftsabwicklung und wenn es um Services geht. In den vergangenen Jahren konnten wir im Finanzbereich die meisten unserer internen Prozesse automatisieren und digitalisieren. Marco Polo passt perfekt in unsere Digitalisierungsstrategie. Und mit der Commerzbank, der İşbank und Şişecam haben wir hier erfahrene und renommierte Geschäftspartner, um bei der Abwicklung internationaler Geschäfte einen wichtigen Schritt vorauszugehen. Das macht mich persönlich natürlich auch ein bisschen stolz.
Vielen Dank für das Gespräch Frau Löbig und Frau Schippler!
Marco Polo Netzwerk Das 2017 gegründete Marco Polo-Netzwerk bietet Banken und anderen Unternehmen eine offene Softwareplattform für Handelsfinanzierung. Das Netzwerk ist ein gemeinsames Vorhaben der Technologieunternehmen TradeIX und R3 sowie weltweiten Finanzinstituten wie etwa der Commerzbank und deren Firmenkunden. Marco Polo basiert auf einer dezentralisierten Blockchain-Lösung, die den nahtlosen und sicheren Austausch von Daten und Vermögenswerten zwischen Teilnehmern ermöglicht. Nach einer vorausgegangenen Pilot-Transaktion im Mai 2020 wurde am 10. Mai 2021 die erste Live-Transaktion über Marco Polo zwischen Kuraray Europe und Şişecam sowie den beiden beteiligten Finanzinstituten Commerzbank und İşbank abgewickelt. Heute gehört Marco Polo zu den größten und am schnellsten wachsenden Handelsfinanzierungs-Netzwerken weltweit.